Alex D. Loo
Marie Konrad
Ich gehöre in Peru zwei aktivistischen Trommelensembles an: Yemayá und Bomba Cuir. Für uns Artivist:innen sind unsere rassifizierten, nicht-normativen, unterschätzten Körper, unsere Sensibilität, Kreativität und Kompetenz die wichtigsten Werkzeuge unseres Widerstands, während Empörung, Wut, Angst und Hoffnung der Treibstoff sind, der uns mobilisiert. In repressiven, antidemokratischen und instabilen Kontexten wie Peru, wo weder unsere Sicherheit noch unser Recht auf Protest gewährleistet sind, lenken wir die Aufmerksamkeit auf Denkweisen und Aktivitäten, die unsere Existenz und unser Wohlergehen als Frauen, People of Color, indigene Menschen, queere, nicht-binäre und trans Menschen, Arbeiter:innen, Einwanderer und Menschen mit Behinderung bedrohen. Bei Märschen, Sit-ins und Demonstrationen gehen wir mit, wir tanzen, tragen unsere Trommeln und benutzen sie. Dadurch nehmen unsere Körper an Gewicht und Umfang zu, was unsere Reaktionsfähigkeit massiv einschränken kann, wenn es zu Feindseligkeiten oder Turbulenzen kommt. Um den Risiken gewachsen zu sein, müssen wir für uns selbst und für andere sorgen – wir müssen Körper und Geist schützen, denn andernfalls haben wir nichts, womit wir Widerstand leisten könnten.
Unsere Interventionen sind weder spontan noch improvisiert. Wir müssen organisieren, gestalten und proben, damit wir wirkungsvoll auftreten und andere zum Handeln bewegen können. Als Reaktion auf ständige und immer wieder neue Attacken gegen Demokratie, Freiheit und Würde müssen wir außerdem innovativ sein, und das oftmals unter Druck. Wie praktizieren wir unter diesen Umständen Fürsorge für uns selbst und für das Kollektiv? Kann man Safe Spaces schaffen und erhalten? Wie bewältigen wir Konflikte, Missverständnisse und Risiken? Diesen Fragen gehe ich in meinem Artikel nach – vielleicht leisten unsere Erfahrungen einen Gesprächsbeitrag, wenn es darum geht, was Umsicht und Fürsorge im Artivismus bedeuten, besonders für jene, die sich mit Praktiker:innen aus nicht-westlichen, „marginalen“ Kontexten zusammenschließen wollen. Die meisten der hier formulierten Gedanken gehen auf meine/unsere Erfahrung zurück, einige stammen jedoch auch aus einer Veranstaltung im Rahmen der kürzlich vom ITI initiierten Gesprächsreihe „Partners In or Off the Ship“.
„Wer für sich selbst und andere sorgt, behauptet die eigene Menschlichkeit angesichts jener Kräfte, die sie untergraben wollen."
Wenn Carol Gilligan (1982) die moralische Bedeutung von Fürsorgebeziehungen und die wechselseitige Abhängigkeit von Einzelpersonen betont, hinterfragt sie zugleich die Vorstellung, dass es bei moralischen Entscheidungen allein um Gerechtigkeit und abstrakte Prinzipien geht, und führt an, dass Fürsorge, Empathie und Bezogenheit als moralische Belange genauso wesentlich sind. Sie weist darauf hin, wie wichtig es ist, dass alle sich frei zu Wort melden und einander genau und aufmerksam zuhören. Diese Gedanken sind wichtig in unserem Kontext, wo die Beziehungen, die wir gestalten, und die Fürsorge, die wir aufbringen, entscheidend dafür sein können, ob eine Bewegung aufblüht oder unter der Last des Drucks von außen zusammenbricht.
Ganz ähnlich hebt Toni Morrison (1993) die politische Dimension hervor, wenn sie argumentiert, dass Fürsorge nicht nur eine persönliche oder zwischenmenschliche Angelegenheit ist, sondern ein Weg, der Entmenschlichung entgegenzuwirken. Wer für sich selbst und andere sorgt, behauptet die eigene Menschlichkeit angesichts jener Kräfte, die sie untergraben wollen. In Peru, wo wir oft entmenschlichender physischer und psychischer Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sind und man öffentlichen Protest kriminalisiert, ist Fürsorge ein radikaler Akt.
Auch das Konzept des Buen Vivir (Santos et al., 2019), frei übersetzt etwa „Gutes Leben“, und verwandte ökofeministische, indigene, kommunitaristische und de-/postkoloniale feministische Auffassungen in Südamerika haben unser Konzept der Fürsorge insofern beeinflusst, als sie die hegemoniale westliche, neoliberale, koloniale Auffassung von „Entwicklung“ als treibender Kraft menschlichen Fortschritts infrage stellen. Für uns sind sowohl das menschliche Leben als auch die Natur wertvoll an sich – nicht in Hinsicht auf ihren wirtschaftlichen Wert vor dem Hintergrund potenzieller Ausbeutung. Wir betonen, dass wir keine Arbeitsmaschinen sind, dass unser Wert nicht von Produktivität abhängt und dass Kollektivismus heilend wirkt, im Gegensatz zum Individualismus, der zu Desinteresse an Ungerechtigkeit und Ungleichheit führt. Wir betrachten Fürsorge als Menschenrecht.
„Einige Menschen werden immer mehr Zugang zu Ressourcen oder Macht haben als andere. Die Herausforderung besteht darin, mit Unterschieden so umzugehen, dass Ungleichheit nicht fortgeschrieben wird, sondern Privilegien genutzt werden, um jene, die marginalisiert sind, zu unterstützen und zu fördern."
Aktivismus führt unweigerlich zu emotionalem und körperlichem Verschleiß. Wir brauchen Zeit, um auszuruhen, zu heilen und uns mit anderen zu verbinden, und oft entscheiden Privilegien darüber, ob man das kann. Wer über wirtschaftliche Stabilität, soziale Verbindungen und Zugang zu Bildung verfügt, kann eine Pause einlegen und zu kollektiven Fürsorgeeinsätzen beitragen, während wirtschaftlich Marginalisierte ihren Widerstand zwingend fortsetzen müssen, sogar auf Kosten ihres Wohlergehens. Wer sich umgekehrt bei der Arbeit eine Auszeit nehmen kann und über eine bessere Work-Life-Balance verfügt, kann mehr Zeit für Aktivismus aufwenden, während sich andere, die an langen Arbeitstagen ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie sichern müssen, nicht am Kampf beteiligen können. In einer ungerechten Gesellschaft wie der peruanischen kann so ein Missverhältnis innerhalb aktivistischer Communitys zu Spannungen führen, weil manche vielleicht ohne Absicht bestehende Ungleichheiten insofern verstärken, als sie Ressourcen oder Entscheidungsprozesse dominieren. Zum Ausgleich solcher Missverhältnisse müssen wir Ressourcen und Macht umverteilen – etwa indem wir inklusivere Entscheidungsstrukturen schaffen, dafür sorgen, dass marginalisierte Stimmen gehört und respektiert werden, und aktiv Hierarchien abbauen, die bestimmte Personen oder Gruppen privilegieren. In unserem Trommelensemble werden zum Beispiel Entscheidungen kollektiv getroffen, jede Stimme hat das gleiche Gewicht, doch auch bestehende Unterschiede in Hinsicht auf Fähigkeiten, Erfahrung, Bildung, Fertigkeiten, finanzielle Mittel und Einsatz werden berücksichtigt.
Allerdings – Privilegien können nicht vollständig abgeschafft werden. Einige Menschen werden immer mehr Zugang zu Ressourcen oder Macht haben als andere. Die Herausforderung besteht darin, mit Unterschieden so umzugehen, dass Ungleichheit nicht fortgeschrieben wird, sondern Privilegien genutzt werden, um jene, die marginalisiert sind, zu unterstützen und zu fördern. Wer privilegiert ist, kann mehr Risiken oder Verantwortung übernehmen, sichtbarer sein und Ressourcen nutzen, um Chancen für andere zu schaffen. Mitglieder mit höherer Schulbildung können zum Beispiel an wissenschaftlichen Diskussionen und Veranstaltungen teilnehmen, die beleuchten, womit die Community zu kämpfen hat, und wer Musikinstrumente kaufen und lernen kann, sie zu spielen, gibt dieses Wissen später weiter an das Kollektiv.
„Entscheidend für kollektive Fürsorge ist, dass man sich gut vernetzt, also teilen wir Erfahrungen und Projekte, die uns stärken."
Die Schaffung einer Kultur kollektiver Fürsorge durchdringt jeden Aspekt unserer Arbeit: wie wir Aktionen organisieren, Entscheidungen treffen und auf Herausforderungen reagieren. Bei Demonstrationen bewegen wir uns als Gruppe und achten auf die Sicherheit und das Wohlergehen der anderen. Wir bereiten uns auf Übergriffe vor: Wir erstellen Maßnahmenpläne, ändern Datum, Zeit und Ort einer Intervention und verteilen bestimmte Rollen. Wir organisieren und machen Pläne für alle Eventualitäten: wohin wir bei einer Räumung gehen, was wir mit den Instrumenten tun, wo wir uns anschließend treffen, wer uns zuverlässig helfen wird, wie wir uns vor Tränengas und herumfliegenden Trümmern schützen, wie wir für die vulnerabelsten Mitglieder sorgen, was wir im Falle einer Verhaftung tun und so weiter. Kollektive Fürsorge genügt jedoch nicht immer. Manchmal sind wir auf externe Unterstützung angewiesen, wie Rechtsbeistand oder die Solidarität internationaler Organisationen. Wer Zugang zu rechtlichen Ressourcen, internationalen Netzwerken oder Medienplattformen hat, kann auch hier die Risiken besser umschiffen und sich angesichts von Unterdrückung lauter zu Wort melden.
Entscheidend für kollektive Fürsorge ist, dass man sich gut vernetzt, also teilen wir Erfahrungen und Projekte, die uns stärken. Zum Beispiel gibt es uns Hoffnung, wenn wir Workshops veranstalten, besonders, wenn sich Kinder und Jugendliche auf sie einlassen, ihre Liebe zu Musik und Kunst entdecken und die Augen für gesellschaftliche Kämpfe öffnen. Die Zusammenarbeit mit anderen Kollektiven ist ein weiteres Beispiel. In Arequipa haben wir uns mit anderen Gruppen zusammengetan, um Performances zu veranstalten und Wandbilder zum Gedenken an die Opfer polizeilicher Repression zu malen. So betonen wir, dass unser Kampf gerecht, wertvoll und notwendig ist, und wir wissen im Stillen, dass der gemeinsame Kampf uns vereint.
Zudem praktizieren wir kollektive Fürsorge dadurch, dass wir Spaß haben und feiern: wir tanzen, singen, lachen, trinken und essen zusammen – wenn wir kollektiv Spaß aufrufen, können wir den Kampf genießen. Der Zusammenhalt in der Gruppe ist fundamental wichtig, denn wenn wir Vertrauen aufbauen, können wir sicher sein, dass wir einander im Krisenfall nicht im Stich lassen werden. Zudem ärgert nichts unsere Unterdrücker mehr, als wenn sie uns fröhlich, vergnügt und mit Spaß performen und spielen sehen. Wenn wir in ihrer Anwesenheit tanzen und lächeln, zeigen wir ihnen, dass ihr Hass uns nicht brechen oder zum Rückzug zwingen kann.
Schließlich ist Gegenseitigkeit entscheidend dafür, dass wir unsere Bemühungen fortsetzen und weiterhin motiviert sind. Vielleicht investieren einige Leute mehr Zeit und Mühe, damit alles funktioniert – doch das ist ungerecht. Wenn man sich auf einige wenige Anführer verlässt, ist die Katastrophe vorprogrammiert. Wir müssen uns gleichberechtigt einbringen, sonst reproduzieren wir patriarchale und hierarchische Praktiken, die zur Implosion führen können. Jedes Mitglied kann die Initiative ergreifen, kann helfen und sich engagieren, statt einfach nur zu Proben oder Demonstrationen zu kommen oder Anweisungen zu erwarten.
„Wenn eine Person das Gefühl von Sicherheit hat, muss das für eine andere nicht unbedingt ebenfalls gelten, zumal Menschen unterschiedliche Erfahrungen und Schwachpunkte haben – die Einrichtung von Safe Spaces muss also ein fortlaufender, dynamischer Prozess sein, der ständigen Dialog und immer wieder Anpassungen braucht."
Safe Spaces sind unverzichtbar, weil jene von uns, die sich für Frauen- und LGBTQI+-Rechte einsetzen, oft Belästigungen, Einschüchterungen und Gewalt ausgesetzt sind. In Räumen dieser Art können wir uns frei artikulieren, ohne Verachtung, Gewalt, Diskriminierung oder Repressalien fürchten zu müssen, und um sie zu schaffen, haben wir Regeln und Bestimmungen entwickelt. Zunächst haben nur jene Zutritt, die in ihrer Weltanschauung, ihren Grundsätzen und Haltungen mit dem Kollektiv übereinstimmen, und um das zu gewährleisten, haben wir ein Verfahren: Wir sprechen andere an, die sie persönlich kennen, wir überprüfen ihren Hintergrund, ihre Beiträge auf Social Media usw. Zudem verwenden wir eine genderneutrale, inklusive Sprache und respektieren gewählte Pronomen und Identitäten.
Aganza Kisaka aus Uganda, die gemeinsam mit mir an dem Talk „Practices of Care“ beteiligt war, hat Strategien beschrieben, die wir auch in Peru einsetzen: 1. Wir halten Versammlungen ab, bei denen alle im Kreis sitzen oder stehen. Wir fragen nach, wie es den Einzelnen geht und ob es Punkte gibt, die besprochen werden müssen. Reihum können alle ihre Ansichten oder Bedenken äußern, wobei jeweils die gleiche Redezeit zur Verfügung steht, es sei denn, jemand braucht wegen medizinischer/physischer/kognitiver Beeinträchtigungen mehr davon. 2. Wir lassen Positives wie Negatives gelten und würdigen die harte Arbeit, die Kreativität und die Beiträge aller Beteiligten, damit es nicht zu Unmut und Frustrationen kommt. 3. Wenn wir in den kreativen Raum eintreten, lassen wir persönliche Themen möglichst draußen. Weil das Persönliche jedoch politisch ist, beziehen wir Aspekte unserer persönlichen Erfahrung in die kreative Arbeit ein, sofern sie mit dem repressiven, ungerechten System in Verbindung stehen, vermeiden es aber, den kreativen Raum als Gruppentherapie für die Arbeit an unserer psychischen Gesundheit zu nutzen.
Leider kommt es auch vor, dass Attacken auf unser Wohlergehen und unsere Integrität aus den eigenen Communitys erwachsen, weil sich verinnerlichte LGBTQ-Phobien, Rassismus, Sexismus und Klassismus manchmal in Mikroaggressionen oder bestimmten Haltungen ausdrücken, die ein Machtgefälle reproduzieren und manche Menschen triggern können. In solchen Fällen schließen wir die angreifende Person sofort aus, egal, wie lange sie dabei ist und in welcher Funktion. Wir hatten einige Fälle von sexuellen oder romantischen Beziehungen zwischen Mitgliedern, und genderspezifische Gewalt kam vor. Das hatte schmerzliche Konsequenzen und endete damit, dass Mitglieder gingen und manche von uns Partei ergriffen. Damit so etwas nicht geschieht, raten wir Mitgliedern dringend davon ab, untereinander sexuelle oder romantische Beziehungen einzugehen. Es ist klar, dass wir Beziehungen nicht verbieten können, aber wir halten es für das Beste, über deren Auswirkungen zu sprechen, wenn jemand neu in die Gruppe kommt. Vollkommene Übereinstimmung zwischen Ideologie und Handeln ist allerdings äußerst selten, und uns allen kann es passieren, dass wir unabsichtlich repressive Verhaltensweisen und Haltungen reproduzieren. Je nach Tragweite der Aggression versuchen wir daher auch, Mitgefühl und Vergebung walten zu lassen und einander eine zweite Chance zu geben, damit wir Fehler wiedergutmachen und uns bessern können.
Es liegt auf der Hand, dass die Einrichtung und Pflege von Safe Spaces eine Herausforderung ist, denn nicht alle haben Zugang zu den notwendigen Ressourcen. Zudem ist das Konzept von Sicherheit an sich bereits vielschichtig und komplex. Wenn eine Person das Gefühl von Sicherheit hat, muss das für eine andere nicht unbedingt ebenfalls gelten, zumal Menschen unterschiedliche Erfahrungen und Schwachpunkte haben – die Einrichtung von Safe Spaces muss also ein fortlaufender, dynamischer Prozess sein, der ständigen Dialog und immer wieder Anpassungen braucht.
„Angst ist eine Ressource, wie Audre Lorde (2017) sagt. Aus Scham wird Stolz, Angst verwandelt sich in Wut, Hoffnungslosigkeit bringt Hoffnung hervor und Hilflosigkeit entfacht Energie."
Das Patriarchat hat menschliche Erfahrung in Gegensatzpaaren konstruiert: Körper – Geist, Objektivität – Subjektivität, Passivität – Aktivität, Gefühl – Vernunft. Sie stehen in direkter Verbindung zu einer Gender-Hierarchie, die ihrerseits eine Dualität darstellt: Mann – Frau oder männlich – weiblich, wobei Ersteres oft als überlegen gilt. Das Männliche ist stark, furchtlos, rational und nicht von Gefühlen kontrolliert, während man das Emotionale dem Anderen zuschreibt – Frauen, außereuropäischen Ethnien, LGTBQ+-Personen –, um unser Recht zu delegitimieren, sichtbar zu sein und gehört zu werden. Man pflanzt uns die Vorstellung ein, dass Angst etwas Krankhaftes ist und dass wir sie unterdrücken müssen, weil sie ansteckend ist und lähmt. Wie Neumann (2017) schreibt, kann sich nur ein furchtloser Mann [sic] frei entscheiden, und Spinoza (2002) führt an, dass Gefühle wie Wut, Angst und selbst Hoffnung die Fähigkeit einschränken, zu denken, zu handeln und vernünftig zu entscheiden. Dieser Standpunkt ist repressiv, paternalistisch und herablassend, weil er die Unterdrückten als angstbestimmt, passiv und leicht manipulierbar darstellt. Außerdem unterstellt er, dass „negative“ Gefühle wie Angst nicht mit „positiven“ Gefühlen wie Freude koexistieren können. Als Artivist:innen wissen wir, dass das nicht zutrifft, wir alle haben nämlich getanzt, gespielt, Spaß gehabt und gleichzeitig Angst erlebt.
Es stimmt, dass Angst viele Menschen blockiert, aber wir überführen sie in Aktion. Angst ist eine Ressource, wie Audre Lorde (2017) sagt. Aus Scham wird Stolz, Angst verwandelt sich in Wut, Hoffnungslosigkeit bringt Hoffnung hervor und Hilflosigkeit entfacht Energie. Emotionen/Gefühle sind eine Form des Wissens, und politisches wie soziales Bewusstsein erwächst oft aus der Erkenntnis, dass uns etwas stört in der Gesellschaft. Durch Angst und Wut mobilisierte Körper können Widerstand und Wandel katalysieren. Um also für uns selbst und andere zu sorgen, müssen wir Angst und Zweifel zulassen, und auch wenn wir beschließen können, vom Handeln Abstand zu nehmen – diese Gefühle können wir durchaus annehmen und voranschreiten.
„Wir müssen auch einräumen, dass nicht alle Konflikte lösbar sind."
Konflikte und Missverständnisse lassen sich nicht vermeiden, aber wenn wir an unserem Engagement dafür festhalten, die darunterliegenden Bedürfnisse und Anliegen zu verstehen und anzusprechen, können wir Lösungen finden, die uns stärken. Es geht nicht um die Feststellung, wer recht oder unrecht hat, sondern darum, dass man Vorgehensweisen findet, die individuelle wie kollektive Bedürfnisse respektieren und würdigen. So etwas erfordert, dass man genau zuhört, die Gültigkeit unterschiedlicher Sichtweisen anerkennt und Kompromisse eingeht oder Anpassungen vornimmt, um ihnen gerecht zu werden.
Aber wir müssen auch einräumen, dass nicht alle Konflikte lösbar sind. Manchmal stehen fest verankerte Differenzen oder strukturelle Ungleichheiten einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung im Weg, sodass man vielleicht akzeptieren muss, dass ein Problem ungelöst bleiben wird, zumindest vorläufig. Dann besteht die Herausforderung darin, wie man trotz solcher Differenzen weiter zusammenarbeiten kann, ohne die großen Ziele der Bewegung zu untergraben.
Fürsorge ist eine Notwendigkeit, vor allem für jene, die angesichts der Risiken und Anforderungen des Aktivismus besonders vulnerabel sind. Auch wenn Privilegien eine große Rolle in der Frage spielen, wer Zugang zu Fürsorge hat, müssen wir Netzwerke der Unterstützung und Solidarität schaffen, selbst unter schwierigsten Umständen. Die Herausforderungen sind groß, wenn wir sichere Räume schaffen, Konflikte bewältigen, Risiken umschiffen, aber sie sind überwindbar. Jedes Engagement für Fürsorge, Empathie und Bezogenheit trägt zum Aufbau stärkerer, robuster Bewegungen bei, die imstande sind, Repressionen zu trotzen und Gerechtigkeit voranzutreiben. Letztlich geht es bei Fürsorge nicht nur darum, zu überleben – es geht darum, ein Fundament aus Stärke, Widerstandskraft und Mut zu schaffen, das unsere Bewegungen auf lange Sicht tragen kann.
Aus dem Englischen von Barbara Christ
Gilligan, C. (1982). In a different voice: Psychological theory and women’s development. Harvard University Press.
Lorde, A. (2017). A burst of light: And other essays. Courier Dover Publications.
Morrison, T. (1993). Playing in the dark: Whiteness and the literary imagination. Vintage.
Neumann, F. L. (2017). Anxiety and politics. tripleC: Communication, Capitalism & Critique. Open Access Journal for a Global Sustainable Information Society, 15(2), 612-636.
Santos, L. G., Castañeda, J. C. J., Martínez, A. R., & Álvarez, M. S. (2019). Aportes del feminismo indígena decolonial al Buen Vivir: Un acercamiento de estudio en México. Argumentos Estudios críticos de la sociedad, 219-236.
Spinoza. 2002. Ethics. In Spinoza: Complete Works, trans. Shirley. Indianapolis: Hackett.
Alex D. Loo ist Aktivistin für die Rechte von Frauen und LGBTQI+ in Peru. Sie ist Mitbegründerin von AFFIDARE (Association of Independent and Diverse Feminists of Arequipa) und des artivistischen Trommelensembles Bomba Cuir. Ihre Arbeit fordert die allgegenwärtige Hetero-Cis-Normativität, den Sexismus und den Kolonialismus in der peruanischen Gesellschaft durch Kurse, Workshops und künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum heraus und prangert die zugrundeliegenden Menschenrechtsverletzungen und systemische Unterdrückung an. Alex D. Loo erwarb einen Master of Arts in Angewandter Linguistik an der University of Leicester, UK, und hat außerdem Kulturanthropologie und Pädagogik studiert.